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Geschichte, Erlebnisse

1978 – Am Anfang war die Vision

von Eberhard Treufeld

1978 erschien in der „Technischen Gemeinschaft“, Monatsschrift der Kammer der Technik, ein Artikel über neueste Entwicklungen, Trends und Möglichkeiten der Mikroelektronik. Dieser Artikel faszinierte mich über alle Maßen. So könnte es doch möglich sein, Rationali­sierungsmittel mit eigener Intelligenz auszustatten und so völlig neue und effektive Lösungen für dringende Probleme zu schaffen. Besondere Anwendungsfälle sah ich in der technischen Diagnostik und in der Datenerfassung bei der Transportabfertigung. Die Erdölkrise zwang zudem existenziell, Kraftstoffe einzusparen. Dringend wurden deshalb Kraftstoffver­brauchsmesser benötigt. Zusammen mit der Ingenieurschule für Verkehrs­technik Dresden arbeitete ich an der Entwicklung eines Kraftstoffverbrauchs­messers. Dazu wurde eine digitale Anzeige benötigt. Dies war Anlass, Kontakt mit der Applikationsabteilung des Funkwerks Erfurt aufzunehmen. Über Honorarvertrag konnten dort Mitarbeiter unter Leitung von Dipl.Math. Joachim Dummer zur Zusammen­arbeit gewonnen werden und so entstand 1978 das digitale Kraftstoffver­brauchsmessgerät KVM. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Funkwerks Erfurt war der primäre Schlüssel für alle unseren weiteren Entwicklungen. Ein weiteres entscheidendes Schlüsselereignis war die Kooperation mit der Militärakademie „Friedrich Engels“ (MAK) in Dresden. Dort lernte ich Dr.sc.techn. Wolfgang Runge und Prof. Dr. habil. Günter Oppermann kennen. Uns verband das gemeinsame Interesse, die Technische Diagnostik an Kraftfahrzeugen und Bordmikrorechner voran zu bringen und mit technischer Intelligenz auszustatten. Es entstand eine sehr enge freundschaftliche Beziehung zwischen Wolfgang Runge (MAK), Joachim Dummer (Funkwerk Erfurt) und mir. Es war ein Glücksfall – die entscheidende „Troika“ für die weiteren erfolgreichen Entwicklungen.

1979 wurde im Funkwerk Erfurt die Produktion des Mikroprozessor­systems U880 (Kopie Z80 Zilog USA) vorbereitet. Ich erkannte sehr schnell, dass die Einführung der Mikrorechentechnik völlig neue Möglichkeiten zur Lösung technischer Probleme eröffnet. 

1979 Erste Prototypen mit Mikrorechner

Hierfür die neuen Möglichkeiten der Mikroprozessortechnik zu nutzen, traf zunächst auf viel Skepsis und teilweise auf harten Widerstand. Aber mit dem Direktor des WTZK Drews und dem Hauptbuchhalter Hochberg konnte ich Verbündete gewinnen. Das große Vertrauen und auch die große Risikobereitschaft dieser Führungspersonen war die wichtigste Grundlage für unseren Erfolg.
Zunächst konnte ich erreichen, dass zweck­gebunden Honorarmittel bereitgestellt werden. Mit unseren bewährten Spezialisten unter Joachim Dummer des Funkwerks Erfurt wurde ein Entwicklerteam auf Honorarbasis geschaffen. Als besonders geeignete Objekte schlug ich das Taxameter und ein Diagnosegerät vor. Bereits Ende 1979 konnten wir die ersten Prototypen für einen Taxicomputers BOTAX 80 und das erste rechnergestützte Diagnosegerät UDS 80 für Fahrzeugbremsen präsentieren. 

1980 Die Präsentation der Prototypen

Die Entwicklungsstand der ersten Prototypen Taxameter BOTAX 80 und Diagnosegerät UDS 80 war noch von den eigentlichen Produkten weit entfernt. Die einzelnen Bauelemente und Module waren noch mit dünnen Drähten mit winzigen Lötkleckse verbunden, die sich bei Bewegung leicht lösen konnten. Unter den Gehäusen befand so ein unübersichtlicher Drahthaufen. Es bestand eine große Unsicherheit. Bei Ausfall musste immer unser Mitarbeiter aus Erfurt hinzugezogen werden.
Dennoch war es sehr wichtig die Funktion der Prototypen zeitnah zu präsentieren um die potentiellen Auftraggeber, Sponsoren und Unterstützer zu gewinnen.

Die Präsentation war anfangs immer mit einer großen Zitterpartie verbunden

Ein Ereignis ist uns noch besonders in Erinnerung:
Die Präsentation des Diagnosegerätes UDS 80 war wegen des großen Interesses des Militärs im Februar 1980 in der Militärakademie „Friedrich Engels“ vorbereitet. Hohe Offiziere und ein sowjetischer General erwarteten mit Spannung die Vorführung. Kurz vorher hatten wir nochmal das Gerät gescheckt – und es blieb dunkel. Da kam das große Zittern auf. Der Kabelsalat im geöffneten Gehäuse lies keine schnelle, systematische Fehlersuche zu. Es war ein Glückstreffer, dass wir ein loses Kabel in letzter Minute fanden. Den Zorn der Generalität und die empfindliche Blamage konnten wir vermeiden. Das wichtigste war aber die Bewahrung unserer Glaubwürdigkeit und des Vertrauens. Es war die Voraussetzung für die sehr nützliche Förderung aller unserer Projekte. Vom Militär erhielten wir eine Lizenz zur bevorzugten Beschaffung von Material und Ausrüstungen (LVO). Dies war von entscheidender Bedeutung für alle unseren folgenden Entwicklungen.

1981 Gründung einer eigenen Entwicklungsbasis im WTZK

Die Vorstellung der Prototypen 1979/80 war insgesamt ein überwältigender Erfolg und konnte vor allem die Leitung des WTZK und unseren Auftraggeber die Hauptverwaltung Kraftverkehr im Minis­terium für Verkehrswesen überzeugen. Die Mikroelektronik sollte Einzug halten in die Ratio­nalisierung des Kraftverkehrs und völlig neue Lösungen ermöglichen.
Während bisher die Entwicklung und Bereitstellung von Rationalisierungsmittel im WTZK vorwiegend koordiniert wurde, wurde nun der Gedanke unterstützt, eigene Grundlagen zu schaffen, um künftig Rationali­sierungsmittel mit Mikrorechentechnik selbst zu entwickeln und in die Serienpro­duk­tion zu leiten.

Vom Ministerium für Verkehrswesen (HVK) wurden dem WTZK dann Ende 1981 offiziell Entwick­lungsaufträge für das Taxameter BOTAX 80 und das universelle Diagnosegerät UDS 80 erteilt und mit den entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet. Ich erhielt den Auftrag, eine Entwicklungsbasis aufzu­bauen und die Projekte zu leiten. Büro- und Laborräume wurden zur Verfügung gestellt. Mit Dr.Ing. Andreas Kretschmer wurde mir ein junger, frisch promovierter Elektroniker von der Hochschule für Verkehrswesen und mit Harald Staudte ein entbehrlicher Programmierer aus einer anderen Abteilung zugeteilt. Die Mikrorechentechnik war für uns alle Neuland. Der größte Coup gelang mir, indem ich Dipl.Math. (später Dr.Ing.) Joachim Dummer vom VEB Funkwerk Erfurt als unseren Mitarbeiter gewinnen konnte. So hatten wir von Anfang an eine besondere Expertise für Mikroelektronik gewonnen. Für Joachim Dummer wurde eine Außenstelle in Erfurt eingerichtet. Als erste wichtige Ausrüstung konnte ich 1981 die Investition und kurzfristige Lieferung eines Mikrorechner-Entwicklungssystems mit Hilfe der LVO durchsetzen.

1982 Erwachen in den Niederungen der Praxis in der DDR

Mit großer Begeisterung – aber auch mit viel Naivität ging es los. Das zeigt im welchem Kontext das Ganze passieren sollte: Haupthindernis war die starre Planwirtschaft in der DDR. Es war für Entwicklungsvorhaben, die nicht im System der langfristigen Planung der Volkswirtschaft enthalten waren, nahezu unmöglich, an jed­wede Ressourcen heran zu kommen. Für kleine Unternehmungen ohne eigenem Potential wie das WTZK sowieso nicht! Hochqualifiziertes Fachpersonal war genauso streng bilanziert wie alle materielle Ressourcen. Die internationale Abschottung der DDR und das westliche Embargo tat ein Übriges. Hinzu kommt noch die flächendeckende Überwachung und Bespitzelung der Menschen durch die Stasi. Zu den  Kommunikationsmöglichkeiten in der DDR in den 80er Jahren lagen im Vergleich zu heute  „Welten“. International gab es noch kein Internet, keine digitale Datenübertragung, kein E-Mail, SMS, Fax und dergleichen. 
Für uns gab es nur das Telefon und die Briefpost. Telefonieren erforderte starke Nerven und viel Geduld. Die Informationsbeschaffung war daher erheblich eingeschränkt. An internationale Fachzeitschriften und Datenblätter konnte man nur schwer herankommen. Internet und E-Mail gab es auch international noch nicht.
Mission impossible? – So erschien unser sehr ehrgeiziges Vorhaben modernste Geräte zu entwickeln und in der Serienproduktion zu überführen. – Skepsis rundum!
Und dann kam noch unsere Unerfahrenheit beim Einsatz von Mikrorechnersystemen im Fahrzeugeinsatz. In der Beschreibung zur >Entwicklung des Taxicomputers BOTAX 80 wird sehr anschaulich beschrieben, welche erhebliche Schwierigkeiten überwunden werden mussten, um ein wirklich zuverlässiges Produkt zu entwickeln. Zeitware waren wir sehr nahe am Scheitern.

Die Überwindung der systembedingten Hemmnisse erforderte ein sehr hohes Maß an kreativer Energie!

Die Militärakademie (MAK) unterstützte unsere weiteren Entwicklungen der rechnergestützten Diagnose und der Bordmikrorechner mit dem Dringlichkeitszertifikat der Lieferverordnung für bewaffnete Organe (LVO). Die 1980 erfolgreiche Vorstellung unserer mikrorechnergesteuerten Prototypen UDS 80 und BOTAX 80 verlieh unserem Entwicklerteam hohe Autorität im WTZK und bei der HvK des Ministeriums für Verkehrswesen. So standen uns ab 1981 Finanzmittel für Forschung und Entwicklung, Honorarmittel zur Nutzung von fremdem Humanressourcen und die besondere Dringlichkeit (LVO) zur bei der Beschaffung von Material und Ausrüstungen zur Verfügung. Dennoch erforderte die Sicherstellung im Einzelnen immer wieder ein sehr hohes Maß an kreativer Energie und Chuzpe. Es war für mich oft ein sehr schmaler Grat. Der Abgrund war sehr tief!
Es gab auch dringend benötige Dinge da half weder Geld noch LVO. Das betraf unter anderem den Werkzeugbau für Kunstoffspritzwerkzeuge. Die Kapazitäten standen unter besonders strenger Isolation bei den großen Kombinatsbetrieben. Es war ziemlich unmöglich überhaupt an einen verantwortlichen Gesprächspartner heran zu kommen. So kam der Bau des Spritzwerkzeugs für die Bedien- und Anzeigeeinheit BOTAX 2000 erst durch einen „Deal“ mit dem Werk für Fernsehelektronik zustande. Sie brauchten dringend einen Kleintransporter „Barkas“. Woher diesen nehmen?? Ich bat die Hauptverwaltung Kraftverkehr um Hilfe. Über einige geheime Zwischenstationen konnte der „Barkas“ geliefert und uns das Werkzeug gebaut werden. In ähnlicher Weise wurden insgesamt 8 Spritzwerkzeuge für uns hergestellt.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt war die Vernetzung mit Persönlichkeiten aus den Hochschulen, Wirtschaftszweigen und der Elektronikindustrie mit dem Ziel der gegenseitigen Unterstützung. Dies hat sehr gut funktioniert. In besonders kritischen Situationen wurde uns geholfen, andererseits konnten auch wir unterstützen. Unsere Partner und deren Würdigung sind in der Startseite aufgeführt.

Im Winter 1986 führten wir gemeinsam mit dem Institut für Landtechnik eine Klausurtagung in Rechenberg-Bienenmühle durch und planten arbeitsteilig Projekte zur Entwicklung von Geräten zur Technischen Diagnostik.

Ende 1981 beschloss Partei und Regierung für den neuen Fünfjahrplan ein Gesetz mit dem ehrgeizigen Ziel, im Zeitraum 1982 bis 1986 45.000 Industrieroboter der DDR zum Einsatz zu bringen. Die Roboterauflagen wurden auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche aufgeteilt. Der Bereich Kraftverkehr geriet mit der Auflage ca. 8.000 Roboter einzuführen in arge Verlegenheit. Es wurde die Definition „Roboter“ aufgeweicht und so konnten auch einfache Handhabungshilfen als Roboter bei der Obrigkeit durchgehen. Allerdings waren auch daran Rationalisierungsziele und Einsparungen gebunden. Als das alles nicht ausreichte, gingen auch unsere Entwicklungen Diagnosegeräte und Bordmikrorechner als Roboter in den Staatsplan. Sie hatten ja immerhin etwas mit Mikrorechentechnik zu tun.
Damit erhielten unsere Entwicklungen eine sehr hohe Priorität. Deshalb entschloss sich die Hauptverwaltung Kraftverkehr, uns mit Valutamittel zu unterstützen, damit wir moderne Ausrüstungen zur Verbesserung unserer Entwicklungsbasis auf dem Weltmarkt beschaffen konnten. Diese Ausrüstungen wurden natürlich auch gleich als Roboter deklariert. Ich erhielt das Privileg als NSW-Reisekader.

Aber da war ja das westliche Embargo mit der sog. CoCom-Liste gemäß derer moderne Mikrorechentechnik und Ausrüstungen nicht in den „Ostblock“ exportiert werden durfte.
Hier kam dann der Stasi-Bereich kommerzielle Koordinierung KoKo (Leitung Schalk Golodkowski) ins Spiel. Das der KoKo angegliederte Außenhandelsunternehmen INTRAC hatte spezielle Lieferanten, die bereit waren die CoCom zu umgehen. Unter Leitung eines Außenhandelskaufmanns der INTRAC durfte ich auf Einkaufstour gehen und dort Ausrüstungen auswählen. Anfang 1988 war unser kleines Entwicklerteam technologisch hervorragend ausgestattet.
Siehe auch > unsere Fähigkeiten


Der wichtigste Erfolgsaspekt waren aber unsere Mitarbeiter! Nach dem erfolgreichen Start der Entwicklungen durch die Troika 1980, wurde ab 1981 mit dem Aufbau einer eigenen Entwicklungsbasis begonnen. Es wurde die Gruppe Mikroelektronik T4 gegründet. Gleich von Anfang an war eine tolle Aufbruchstimmung, es wurde viel Freiraum für die Verwirklichung von Kreativität gegeben und wir wurden mit materiellen Mitteln so gut es eben ging unterstützt. Diese Freiheit aktivierte eine sehr hohe Motivation und Aufbruchstimmung. Es sprach sich herum und so hatten wir keine Probleme hochqualifizierte Fachleute z.B. von der Hochschule für Verkehrswesen, vom Funkwerk Erfurt, von Robotron Dresden, vom Zentrum für Mikroelektronik Dresden abzuwerben bzw. Fachleute aus anderen Wirtschaftszweigen mit Honorarverträgen zu binden. Für unsere neuen Mitarbeiter vom Funkwerk Erfurt Joachim Dummer und Ralf-Peter Nerlich richteten wir eine Außendienststelle in Erfurt ein. So waren wir auch permanent und hautnah mit der weiteren Entwicklung der Mikroelektronik in der DDR verbunden.

1985 Großserienproduktion und Praxiseinsatz

Zur besseren Sicherung der Qualität und Planung der Entwicklung unserer Erzeugnisse wurde mit dem Auftraggeber Hauptverwaltung Kraftverkehr die strikte Einführung der Nomenklatur der Arbeitsstufen in K-Stufen vereinbart.
Die Produzenten aus dem Ratiomittelbau des Verkehrswesen, das Wissenschaftlich Technisches Produktionszentrum Meiningen (WTPZ-M) und der VEB Rationalisierung Gera wurden von uns parallel zu den Entwicklungsaufgaben zur Serienproduktion ertüchtigt. Das verlangte uns erhebliche zusätzliche Anstrengungen ab, zumal ja auch für uns die Serienproduktion, Technologie, Logistik, Qualitätsmanagement usw. totales Neuland waren. Bei allen Problemen waren wir als Feuerwehr zur Stelle – oft bis zur totalen Erschöpfung!

1985 der breite Einsatz des Taxicomputers BOTAX 80 in Berlin wurde in der Chronik der DDR als besonderes Ereignis gewürdigt!

Bis 1989 wurden alle Taxis in der DDR mit BOTAX 80 ausgestattet. Es wurden dazu 12.000 Geräte produziert.

Aus heutiger Sicht erscheint es Fachleuten nahezu unmöglich, dass ein solch kleines Team in so kurzer Zeit (von Ende 1979 bis Ende 1989) eine solche Anzahl von mikrorechnergestützten Erzeugnissen unter oft schwierigen Bedingungen entwickelt und erfolgreich in die Großserienproduktion übergeleitet hat. 
Die meisten Erzeugnisse waren Spitzenleistungen in Hardware und Software und können sich auch noch unter heutigem Stand sehen lassen. Das alles, unser Know How, unsere Konstruktionsleistungen und Geräte, sie gingen mit der Wiedervereinigung unter. 

An dieser Stelle soll auch unser ehemaliger Direktor Willy Drews und der Hauptbuchhalter Hubert Hochberg gewürdigt werden! Sie hatten trotz vieler Skeptiker von Anfang an großes Vertrauen in unsere Arbeit und unterstützten diese uneingeschränkt, obwohl der Erfolg unter dem gegebenen Kontext nicht garantiert war. Sie übernahmen ein sehr hohes Risiko!

Mit diesem Beitrag sollen die außerge­wöhnlichen Leistungen der Mitarbeiter der Gruppe Mikroelektronik gewürdigt werden.

Es war eine unglaublich erfolgreiche Geschichte!

Diese war nicht wegen der Verhältnisse in der DDR sondern trotz der Verhältnisse möglich! Sie war das Ergebnis des besonderen Engagements aller beteiligten Mitarbeiter und Verantwortlichen!


1988 Exkursion zur Fähre Sassnitz Trelleborg

von Eberhard Treufeld und Andreas Kretschmer

Die Seerederei war an unsrer Entwicklung des Kraftstoffverbrauchsmesser KVM-1 interessiert. Am Fährschiff sollte die Eignung unserer Entwicklung für die Schifffahrt untersucht werden. Um sich ein genaueres Bild zu machen wurde unser Team zu einer Exkursion auf die Trelleborg nach Sassnitz eingeladen. Gerne sagten wir zu, obwohl wir ziemlich skeptisch zum Einsatz des KVM-1 am Schiffsdiesel waren.
Die Exkursion war von extremen Sicherheitsmaßnahmen begleitet. Die Fähre war ja exterritoriales Gebiet, also Grenzübertritt, also Überwachung durch Soldaten der Grenztruppen.
Leider konnten nicht alle unsere Mitarbeiter an dieser Exkursion teilnehmen.

Foto: A. Kretschmer

Auf dem Kommandostand von links nach rechts: Eberhard Treufeld, Egon Höller, Volker Kunz, Peter Buch, Matthias Richter, Ralf-Peter Nerlich, Renate Beckert, Andreas Kretschmer

Fotos: A. Kretschmer

Eberhard Treufeld und Matthias Richter im Maschinenraum
Fotos: A. Kretschmer

Wir versuchten eine Messeinrichtung im Bypass einzurichten. Das hat sich aber nicht bewährt – Schiffsdiesel ist zu schmutzig und die Messungen über Bypass zu ungenau. Aber der Schiffs­aus­­flug hatte allen sehr gefallen. Zu bemerken ist die Tatsache, dass unsere Techniker von Grenzsoldaten mit Maschinenpistolen begleitet wurden.

1988 UDS 80 in Taschkent erprobt

von Wolfgang Runge

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit habe ich in der Vorwendezeit mehrere Doktoranden betreut, die Probleme der Technischen Diagnostik von Landfahrzeugen betrafen, wie zum Beispiel Diagnose des technischen Zustandes von Verbrennungsmotoren, Bremsanlagen, Getrieben und Starterbatterien. Die Information zu meiner „Entwicklung eines rechnergestützten Bremsprüfverfahrens im Fahrversuch“ (1) veranlaßte die Technische Abteilung von Interflug Kontakt zum Entwicklerkollektiv des UDS80 aufzunehmen. Neben der Bremsprüfung bestand bei Interflug vordergründig Interesse an einer geeigneten technischen Lösung  der Startüberwachung. Bis zu diesem Zeitpunkt mußte der Pilot erfahrungsgemäß selbst einschätzen, ob er einen Startabbruch einleitet, der mit erheblichen Kosten verbunden wäre. In Zusammenarbeit mit Kollegen von Interflug habe ich sowohl für die Bremsprüfung als auch für die Überwachung des Startvorganges Problemlösungen entwickelt, die zunächst  bei Probeflügen auf dem Territorium der DDR überprüft worden sind. Nach Bestätigung der prinzipiellen Eignung der Lösungen durch die Technische Abteilung von Interflug wurde entschieden, daß die weitere Erprobung auf wichtigen, insbesondere im Anflug kritischen internationalen Flughäfen erfolgen soll.  Dabei waren vorrangig  verschiedene Einflußgrößen zu beachten:

– kritische Anflug- und Startbedingungen
– unterschiedliche Haftung der Roll- und Landebahnen
– Witterungs- und klimatische Auswirkungen  usw.

Die erste Auslandserprobung erfolgte mit dem Zielort Taschkent.
Während des Hin- und Rückfluges wurden spezielle Flugmanöver mit dem UDS80 meßtechnisch erfaßt.
Die Großstadt Taschkent war durch die vorangegangene Zerstörung in Folge eines schweren Erdbebens gekennzeichnet. Wir hatten zwei Übernachtungen und konnten deshalb am freien Tag bei einer Stadtrundfahrt und einem ausgedehnten Stadtbummel interessante Eindrücke von der Stadt und deren Einwohner gewinnen.
Die Auswertungsergebnisse der Erprobung des UDS80 während der Flugmanöver sowie des Lande- und Startvorganges waren sehr erfolgversprechend, so daß die nächste Erprobung für 1990 in Kairo vorgesehen und geplant wurde.

Leider kam es nicht mehr dazu.

Während einer privaten Kreuzfahrt mit dem Kreuzfahrtschiff „Arkona“ rund um Cuba hatte ich Kontakt zum Technischen Offizier aufgenommen. Er schilderte mir die Schwierigkeiten bei der Bremsprüfung von Schiffen, weil ja hierbei die feststehende Fahrbahn fehlt. Wir konnten trotzdem gemeinsam eine mögliche Variante als prinzipielle Lösung in Aussicht stellen, aber eine tiefgründige Bearbeitung wäre für mich erst nach Abschluß der Entwicklungsarbeit bei Interflug möglich gewesen. 

(1) Runge,W.: – 1983  174 S. Dresden, Militärakademie Dresden, Diss. A

> Lesen Sie hier den Entwicklungbericht zum UDS 80


Meine Erinnerungen

von Andreas Kretschmer

1982 Die Hardware des UDS 80

 
Für die Kalibrierung der Beschleunigungsmessung am UDS 80 wurde die Naturkonstante Erdbeschleunigung verwendet. Dazu wurde das Gerät um 90 Grad gedreht und die Erdbeschleunigung musste exakt mit 9,81 m/s2 angezeigt werden. Anfangs war das Signal aber offensichtlich verrauscht, so dass das die analog- digital- Wandlung (sukzessive Approximation) keine feststehende Werte lieferte. Es wurde angezeigt, als Beispiel: 9,84, 9,56, 9,20, 9,78 und die Werte wurden dreimal pro Sekunde aktualisiert. Das war unbefriedigend.
Unser Entwicklungspartner Dr. Wolfgang Runge brachte die Lösung: eine Mittelwertbildung von 8 Messungen und das war das Geniale, realisiert durch eine Rechtsverschiebung im Register um drei Stellen, was auf Maschinenbefehlsebene sehr schnell ging. Die Anzeige war nun stabil.
siehe auch >Universelles Diagnosesystem UDS 80

Die Kommunikation mit Telefon war ein besonderes Problem

Wie auch bereits erwähnt,  war unser Telefonnetz total veraltet und wurde bewußt beschränkt um die Kommunikation durch die Stasi unter Kontrolle zu halten. Mann brauchte sehr viel Zeit, Geduld und bekam oft wunde Finger um eine Verbindung herzustellen. Das war besonders hinderlich, weil wir 2 Mitarbeiter in der Außenstelle in Erfurt hatten, die maßgeblich am Projekt „BOTAX“ arbeiteten.

Andreas Kretschmer erinnert sich an die Anfangszeit der Entwicklung von BOTAX 80 um 1983
„Unser erfurter Mitarbeiter Joachim Dummer war der federführende Softwarebearbeiter. Er programmierte in Maschinensprache um das sehr komplexe Programm in einem 1KB EPROM unterzubringen. Bei der Erprobung der Funktionsmuster wussten wir in Dresden manchmal nicht so recht was zu tun war wenn der BOTAX nicht wie vorgesehen lief. Als es eines Tages Zweifel gab, ob wir die richtige Programmversion hatten, bzw. ob der EPROM noch alle Daten korrekt  hatte mussten wir den Inhalt telefonisch nach Erfurt übermitteln und wurde dort geprüft. Das bedeutete, das wir die Hex-Werte des EPROM, also als Beispiel  3E, 1F, 5A, 66 usw. , durch das Telefon sprachen. Und das für 1024 Werte! Die Prüfsumme, die es damals schon gab, hatten wir wahrscheinlich nicht, oder sie hatte uns  eben nicht genügt. Aber als Resultat kam heraus, dass der EPROM, der richtige war und noch alle Daten korrekt waren. Wir mussten den Fehler woanders suchen.“
Später waren solche Aktionen nicht mehr erforderlich. Das Beispiel zeigt aber dass man ein sehr großen Maß an Hartnäckigkeit brauchte, um ein Stück weiter zu kommen.
Lesen Sie dazu die Entwicklungsgeschichte des Taxicomputers BOTAX 80

1987 Die Erprobung des Fahrscheindruckers 

Zu allen Partnern, die die Gruppe T4 bei allen Entwicklungen hatte, bestand immer ein sehr gutes und kollegiales Verhältnis. Manchmal wurden wir spontan besucht, damit wir Rückmeldungen aus der Praxis bekommen sollten aber auch um technische Informationen und Hilfe zu erhalten. Es war Mitte der 80- ger Jahre, als der elektronische Fahrscheindrucker FABUS 1 schon die ersten Fahrten auf den Fernverkehrsbussen absolvierte. Auf diesen Bussen fuhren manchmal auch die Entwickler mit, um aus erster Hand Informationen über die Abfertigungsprozesse und technische Probleme zu erhalten. Das Verhältnis zu den Fahrern war immer herzlich. Es trug sich folgendes zu: Auf der Linie R305, die vom Hauptbahnhof, den 70-er Ring dann über die heutige Carolabrücke und über den Albertplatz nach Bischofswerde führte,  hatte der Busfahrer irgendein Problem mit dem neuen Drucker, was also tun? Nun ganz einfach, der Bus bog am Carolaplatz nach links ab, fuhr die ca. 700 m bis zur Friedrich- Engels Straße und hielt direkt vor unserem WTZ Kaftverkehr. Der Busfahrer wusste dass die T4 und speziell die FABUS-Entwicklung dort zu finden war. Dort hinein und ins Erdgeschoss zu unseren Laborräumen. Volker Kunz, Hardwareentwickler im FABUS Team,  ging mit zum Bus, gab fachliche  Auskunft und löste das Problem. Die Fahrgäste des Busses schauten verblüfft, aber interessiert dem Geschehen zu. Der Fahrer wußte sich eben zu helfen. Das Abweichen von der Fahrroute und die zeitliche Verzögerung hatten offensichtlich im Bus niemanden gestört. 

Lesen Sie hier die Entwicklungsgeschichte FABUS 2000

1982 „Polnisch rückwärts“,  Eignungstester für Militärkraftfahrer

Entwickelt als Neuerer- Aufgabe, also außerhalb der Arbeitszeit, Steuerung über die bekannte U880- Familie, unser eigenes Mikrorechnersystem Ratio 80 kam zum Einsatz, ferner ein analoges Magnettonbandgerät, was mit Befehlen für die Fahrschüler besprochen wurde. Die Stimme kam von Dr. Runge, unserem damaligen Kontaktpartner bei der Militärakademie Dresden. Es wurden 8 Probanden auf einmal getestet. Siehe
Gemessen wurden die Reaktionszeiten der Probanden auf verschiedene Ampelkonstellationen.
Die Steuerung des Tonbandes wurde realisiert über eine Lichtschranke, die ein Signal gab, was zum Steuern der Sprachausgabe genutzt wurde. Die Lichtschranke, eigentlich die Bandendeerkennung wurde aktiviert durch ein in das Band gestanztes Loch, was mit einer Schaffnerzange bewerkstelligt wurde. 
Nun konnte man das Band vor- und rückwärts laufen lassen, vorwärts hörten wir die sonore Stimme von Dr. Runge und rückwärts ebenfalls aber es kam etwas heraus, was wie polnisch klang, aber unser Kollege Toni Wicher, der aus Polen kam, meinte „kein polnisch“. Auf jeden Fall konnte man sich auch rückwärts sich in das Sprachenwirrwar so einhören, dass wir genau wussten welche Befehle gerade gesprochen wurden. 
Aber Nachsprechen war trotzdem unmöglich, da haben wir uns lieber einige polnische Sätze sagen lassen und gelernt. Die kann ich noch heute.
siehe auch >Testgerät zur Eignungsuntersuchung von Militärkraftfahrern

Andreas Kretschmer forschte auch gern interdisziplinär als Entomologe

Die Fliege  

Gerade in Sommertagen war es in unserem Labor ziemlich warm, hatten wir viele Laborgeräte und nach Süden 3 Fenster. Umso schlimmer war es wenn uns eine Fliege um den Kopf herumschwirrte. 
Und dann saß sie auf der Fensterbank, eine Zeitung wurde gefaltet und versucht das lästige Insekt zu erlegen. 
Nun leider ging der Schlag daneben, die Fliege saß immer noch da. Aber nach genauerem Hinsehen war zu sehen, dass der Kopf fehlte. Nun wurde die Fliege zu einem interessantem Beobachtungsobjekt. Was machte die Restfliege: sie putzte sich die Flügel, lief einige Schritte und versuchte zu fliegen. Das gelang jedoch nicht weil offenbar das fehlende Gewicht des Kopfes die Flugeigenschaften beeinflusste. Die Fliege kullerte nur einige Zentimeter ohne zu fliegen. Das ging eine ganze Weile bis irgendwann die vorderen Fliegenbeine einknickten und es mit dem Fliegenleben zu Ende ging. Das Ganze zu beobachten war schon irgendwie faszinierend. Vor allem was alles noch ohne Kopf funktionierte.

Kommentar: Es ist schon interessant herauszufinden, was sich daraus für die Lebensdauer von elektronischer Hardware ableiten lässt. Vielleicht kann man es auch philosophisch betrachten (E.Treufeld).


1988 Unsere neue Leiterplattenstrecke 

Ein langes Kapitel der Abhängigkeiten ging zu Ende, als wir nach und nach, gegen 1988 eine komplette Leiterplattenstrecke in Betrieb nehmen konnten. Das Beschaffen der Geräte für die komplette Strecke von der Konstruktion, der Trassierung, über den Musterbau mit einem Bohr- Fräs-Plotter, Leiterplatten ätzen, Bestückung und Schwall-Löten war, eine Odyssee für sich. Hier zog unser Gruppenleiter Dr. Ing. Eberhard Treufeld alle Register, damit es voran ging. Aber nach der Inbetriebnahme gab es durchaus noch Schwierigkeiten. Dass es beim Löten Dämpfe gibt, die einzuatmen nicht zu empfehlen ist, war uns schon bekannt, aber eine Schwall-Lötanlage ist eine andere Dimension. Unsere erste Lösung war ganz einfach: über eine kurzes Rohr an das nächste Fenster und von dort aus am oberen Teil des Fensters ins Freie. 
Draußen jedoch war unmittelbar am Haus ein Fußweg, durch Touristen meist gut begangen. Wenn die Anlage lief, war das ein ätzender Dampf, der aus dem Rohr kam und zum Überfluss tropfte es noch aus dem Rohr, vermutlich klebriges Kolophonium. Also das konnten wir gleich wieder abbauen. 
Die nächste, dann bis zum Ende unserer Tätigkeit praktizierte Lösung, führte über eine sehr aufwendige und lange Rohrleitung zu einem In-Haus Schornstein auf das Dach, wo ein große, runder, gelber Lüfter installiert wurde, der die Dämpfe absaugte.

Kommentar: Die Beschaffung der Ausrüstung geschah in der Regel völlig spontan. Aus Berlin kam plötzlich die Nachricht es ist noch Geld (Valuta) übrig zur Beschaffung von Ausrüstung – Verwendung bitte sofort!
Ich den habe Bedarf einer Lötmaschine gemeldet und meine Messeprospekte gewälzt. Eine relativ kleine Anlage aus der Schweiz mit Jet-Schwall schien geeignet. Ich habe Bestellung über Intrac ausgelöst. Eigene Erfahrung zur Löttechnologie hatten wir nicht. Es war keine Besichtigung beim Hersteller vorgesehen und keine keine Projektierung. Die Probleme kamen zwangsläufig danach:
Zur Verbesserung des Umweltschutzes konnten wir noch eine als Sonderzubehör angebotene Abgasreinigungsanlage für die Lötmaschine nachkaufen. Es musste eine Lösung her, wie die Abgase vorschriftsmäßig abgeleitet werden. Meine Annahme, diese über den Schornstein abzuleiten, entfachte im Hause einen harten Zuständigkeitsstreit und Ablehnung. Der Ärger bei der Ableitung durch das Fenster auf die Straße war schließlich doch überzeugend für die angestrebte Lösung. Die Umsetzung war nicht ganz einfach. Für die Technik zur Abgasableitung war der VEB Luft-und Kälteanlagen Dresden zuständig – aber ohne Bilanz im 5-Jahresplan ging gar nichts. Ein Studienkollege half, diese Hürde zu überspringen. Ähnlich war die Beschaffung eines Dachlüfters zur Absaugung der aggressiven Abgase. Der VEB Plastelüfter Dresden konnte überzeugt werden, obwohl er nur für den Export und Staatsaufträge produzierte. Die LVO war sehr hilfreich.
Neben den anspruchsvollen Entwicklungen war das eine ziemlich anstrengende Nebenbeschäftigung für mich. So könnte für jeden Ausrüstungsimport eine abenteuerliche Geschichte erzählt werden (E.Treufeld).


1990 Die große Verramschung nach dem Untergang der DDR

von Eberhard Treufeld

Der Ausgang der friedlichen Revolution 1989 erweckte große Hoffnung bei allen Mitarbeitern. Wir waren überzeugt, dass wir mit unserer modernen Auffassung der Arbeitsorganisation und unserer Expertise sehr gut für die Zukunft aufgestellt sind und dass wir als Entwickler für das Verkehrswesen weiterexistierend können. Leider war das ein Irrtum. Im August 1990 wurde der VEB Wissenschaftlich Technisches Zentrum des Kraftverkehrs abgewickelt und ging privatisiert in die ISUP GmbH über. Das Profil änderte sich und es war kein Platz mehr für unsere Entwicklergruppe.

Dringend suchten wir einen neuen Partner. Zunächst erschien uns der Taxameterproduzent Kienzle aus dem Schwarzwald naheliegend. Nach Kontaktgesprächen wurde uns klar, Kienzle will im Bereich der DDR ihre Taxameter im großem Stil verkaufen. Sie benötigen aber kein Expertenteam und keine Zentralstelle.
Zusammen mit Dr. Kretschmer tourte ich durch die BRD, fuhr einige Adressen an bis nach Dortmund. Überall wurden wir freundlich empfangen aber an einer Partnerschaft bestand kein Interesse, wohl aber an der Immobilie des WTZK.

Mir wurde klar, dass es keine Aussicht gab, als ehemalige sehr erfolgreiche Entwicklergruppe weiter zu bestehen. Es war zum Verzweifeln unsere hocheffektiven Entwicklungen mit Weltniveau, unsere jahrelangen Erfahrungen – alles dem Bach hinunter – es stimmte sehr depressiv.

Ähnlich ging es unseren Kunden, den VE Taxibetrieben. Jeder Taxifahrer konnte nun eigener Unternehmer werden. Zu relativ günstigen Konditionen konnten sie Mercedes gebraucht oder neu erwerben, – mit Kienzle- oder Hale-Taxameter.
Die vielen „Wolga-Taxis“ wurden an die abziehenden sowjetischen Truppen verhökert. Der ehemalige technische Direktor des VE Taxi Dresden, Herr Otte, berichtete, das hunderte ausgebaute Taxicomputer BOTAX 80 im Betriebshof auf einen großen Berg geworfen und dann entsorgt wurden. So wurde in allen Taxibetrieben verfahren – es waren über 12.000 Geräte!
Im VE Taxi Berlin wurden unsere neu angelieferten BOTAX 2000 Geräte der 0-Serie noch in der Verpackung entsorgt.

1990 Betrüger, Glücksritter und Spekulanten

Im September 1990 wurde ein „Investor“ aus der BRD an mich vermittelt. Es kam Hoffnung auf.

Ein netter Herr mittlerem Alters begann in einen persönlichem Gespräch über die Möglichkeit, unsere Gruppe in eine neue Zukunft zu führen. Nach einer Weile ließ er die Katze aus dem Sack: Wie wäre es denn, wenn in den Laborräumen ein Sexshop eigerichtet werden würde und darüber „Etablissements“. Damit ließe sich doch richtig viel Geld verdienen – mehr als ich es jemals erträumen konnte. Mein Titel würde dem ganzen Seriosität verleihen und der Standort wäre doch ideal. Wenn die Leute aus der Oper oder aus der Gaststätte kommen, könnte sie sich danach ein wenig vergnügen. Es fiel mir schwer, die Contenance zu bewahren. Völlig geschockt verabschiedete ich diesen Herrn.

1991-1992 war das Stadtbild geprägt von eingeströmten Glücksrittern, Spekulanten, halbseidenen Verkäufern und Betrügern.

Bedrückende Erfahrungen: Da lief auf der Friedrich-Engels-Straße eine menschliche Litfaßsäule mit Sehschlitzen herum – ein Bild wie zu Zeiten der Großen Inflation in den 1920er Jahren. Da liefen liefen Leute auf der Straße die riefen „Oh diese Bohne!“ eine Werbegag von Onko-Kaffe. Die Leute bekamen dafür ein Päckchen Kaffe geschenkt. Mir graute, wie sehr hier Menschen ihre Würde verloren hatten. Wo war der aufrechte Gang in der friedlichen Revolution geblieben?
Auf den Straßen hatten sich Autoverkäufer etabliert und machten das große Geschäft mit ihren Rostlauben. Versicherungsmakler verkauften Versicherungen, die keiner brauchte und abends besuchten uns Händler, die Schafwolldecken und Decken als Schutz vor „schädliche Erdstrahlungen“ zu überhöhten Preisen verkaufen wollten.
Scharen von Immobilienhaien, vornehmlich aus Baden-Würtemberg und der Schweiz, schlichen um unsere Häuser herum fotografierten und taxierten den Wert unserer Gebäude.
Immer mehr Menschen machten erstmalig die Erfahrung wie es ist, arbeitslos und ohne eigenes Einkommen zu sein.

1990 Erinnerung aus der Wendezeit, als manch undurchsichtiger Geschäftemacher unterwegs war…..

von Andreas Kretschmer

Im Sommer 1990:

Die Räume unserer Gruppe befanden sich im Erdgeschoss nach der damaligen Friedrich Engels-Straße (heute Königstr. ) und der  Rosa-Luxemburg- Str. (heute Heinrichstr.) Die Fußwege waren meist stark frequentiert. Direkt vor den 3 Fenstern unseres Labors nach Süden war außerdem ein kleiner Autoparkplatz. Da war es oft nicht so angenehm wenn sich bei schönstem Wetter Touristen laut vor unseren Fenstern unterhielten. In der Wendezeit, im Sommer 1990, ich erinnere mich nicht mehr, ob es schon nach der Währungsunion war, trug sich folgendes zu:

Durch ein geöffnetes Fenster im Labor hörten wir das Gespräch eines Mannes mit einem Passanten, der Inhalt war folgender: „Ich bin auf der Rückreise von einer Messe, wo Haushaltwaren ausgestellt wurden und muss jetzt Besteckkästen mit nach Hause nehmen. Dafür muss ich leider Zoll bezahlen und weil sich das nicht lohnt, würde ich Ihnen diesen schönen Besteckkasten, der ursprünglich (jetzt wurde ein Betrag genannt) gekostet hat für (wesentlich weniger) überlassen“. Dabei wurde der Besteckkasten gezeigt und auch zu uns, die wir uns am Fenster zeigten, gehalten. Das Geschäft funktionierte, schon deswegen, weil der Besteckkasten viele Teile hatte und hübsch aussah. Nach einiger Zeit wiederholte sich das Ganze und auch an den folgenden Tagen war der selbe Verkäufer aktiv und erzählte lauthals immer das gleiche. 

Obwohl der Mann eigentlich gemerkt haben müsste, dass wir im Labor das alles mitbekommen hatten, besaß er die Dreistigkeit uns eines Tages direkt durch unser Fenster anzusprechen und uns ebenfalls die gleiche Geschichte zu erzählen und zu einem Kauf zu animieren.

Das waren die ersten Kontakte zur neuen, ungewohnten Marktwirtschaft und den damit verbundenen, teils sehr fragwürdigen Geschäftspraktiken.

1991 Das Ende und der Neuanfang

Mitte 1991 wurden unsere Laborräume ausgeräumt, die hochwertige Technik verhökert und der Rest entsorgt. Allen Mitarbeitern unserer stolzen Gruppe drohte die Entlassung. Mehrfach hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mich selbständig zu machen, aber nüchtern betrachtet erschien es in der konkreten Situation aussichtslos. Das Risiko einer Pleite war zu groß.
Zur Gründung brauchte es mindestens 1 Jahr intensiver Vorbereitungszeit mit gutem Einkommen, ein Leistungsprofil, Businessplan, Kunden und Startkapital – das alles war nicht vorhanden. Meiner jungen Familie mit 2 Kindern war das nicht zu zumuten.

Neben den deprimierenden Aussichten für unsere Gruppe gab es sehr wohl auch Verlockungen. So waren wir als Fachleute und Spezialisten natürlich gefragt. Da alle Bemühungen zur Weiterführung unserer erfolgreichen Arbeit kaum Erfolg versprachen, gingen nach und nach die meisten unserer Mitarbeiter in die sogenannte freie Wirtschaft, zu großen Unternehmen wie Siemens und Bosch, machten sich selbständig oder gingen zu kleinen und mittleren Unternehmen in ganz Deutschland. Unsere zu DDR-Zeiten mühselig aufgebaute Leiterplattenstrecke wurde komplett verkauft und gab damit unseren damit vertrauten Mitarbeitern für viele weitere Jahre einen guten Job in Dresden. Zum Beginn des Jahres 1992 waren keine Mitarbeiter unserer Gruppe mehr in der ISUP GmbH.

Die meisten unserer Mitarbeiter haben den Sprung in das sehr kalte Wasser gut überstanden und landeten oftmals auf völlig anderem Gebiet.
Ich fand einen Job bei der Ingenieurorganisation DEKRA, qualifizierte mich zum Amtlich anerkannten Sachverständigen und arbeitete im Prüflabor des Technischen Dienstes. Dort führte ich Festigkeitsprüfungen an Fahrzeugteilen nach EU- Normen oder ECE-Regelungen durch und spezialisierte mich auf den Test von Kindersitzen. Das war eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Sie schloss Festigkeitsprüfungen und Crashtests ein. Ich leitete auch internationale Test für Verbraucherorganisationen wie Stiftung Warentest und Consumentenbond (NL) an welchem fast alle europäischen Länder angeschlossen waren.
In den letzten Jahren meines Berufslebens war ich im BMW-Werk Leipzig Qualitätsingenieur.